Im folgenden Artikel möchten wir euch verschiedene Beispiele von Redeanalysen zeigen. Dazu muss natürlich gesagt sein, dass dies von uns verfasste Beispiele sind, und keine Gewährleistung für Richtigkeit übernommen werden kann. Es sollen also nur Gedankenanstöße sein und keine Copy-und-Paste-Dokumente.
"Salus publica suprema lex"
Alle idealen Staatsformen sind Utopien. (...) Wir wollen hier nicht urteilen über die verschiedenen möglichen Staatsformen, die Demokratie, die konstitutionelle Monarchie, das Königtum usw. Nur eines will eindeutig und klar herausgehoben werden: jeder einzelne Mensch hat einen Anspruch auf einen brauchbaren und gerechten Staat, der die Freiheit des einzelnen als auch das Wohl der Gesamtheit sichert. Denn der Mensch soll nach Gottes Willen frei und unabhängig im Zusammenleben und Zusammenwirken der staatlichen Gemeinschaft sein natürliches Ziel, sein irdisches Glück in Selbständigkeit und Selbsttätigkeit zu erreichen suchen.
Unser heutiger "Staat", aber ist die Diktatur des Bösen. (...) Ist Euer Geist schon so sehr der Vergewaltigung unterlegen, daß Ihr vergeßt, daß es nicht nur Euer Recht, sondern Eure sittliche Pflicht ist, dieses System zu beseitigen? Wenn aber ein Mensch nicht mehr die Kraft aufbringt, sein Recht zu fordern, dann muß er mit absoluter Notwendigkeit untergehen. Wir würden es verdienen, in alle Welt verstreut zu werden wie der Staub vor dem Winde, wenn wir uns in dieser zwölften Stunde nicht aufrafften und endlich den Mut aufbrachten, der uns seither gefehlt hat. Verbergt nicht Eure Feigheit unter dem Mantel der Klugheit. Denn mit jedem Tag, da Ihr noch zögert, da Ihr dieser Ausgeburt der Hölle nicht widersteht, wächst Eure Schuld gleich einer parabolischen Kurve höher und immer höher.
Viele, vielleicht die meisten Leser dieser Blätter sind sich darüber nicht klar, wie sie einen Widerstand ausüben sollen. Sie sehen keine Möglichkeiten. Wir wollen versuchen, ihnen zu zeigen, daß ein jeder in der Lage ist, etwas beizutragen zum Sturz dieses Systems. Nicht durch individualistische Gegnerschaft, in der Art verbitterter Einsiedler, wird es möglich werden, den Boden für einen Sturz dieser "Regierung" reif zu machen oder gar den Umsturz möglichst bald herbeizuführen, sondern nur durch die Zusammenarbeit vieler überzeugter, tatkräftiger Menschen, Menschen, die sich einig sind, mit welchen Mitteln sie ihr Ziel erreichen können. Wir haben keine reiche Auswahl an solchen Mitteln, nur ein einziges steht uns zur Verfügung - der passive Widerstand.
Der Sinn und das Ziel des passiven Widerstandes ist, den Nationalsozialismus zu Fall zu bringen, und in diesem Kampf ist vor keinem Weg, vor keiner Tat zurückzuschrecken, mögen sie auf Gebieten liegen, auf welchen sie auch wollen. An allen Stellen muß der Nationalsozialismus angegriffen werden, an denen er nur angreifbar ist. Ein Ende muß diesem Unstaat möglichst bald bereitet werden - ein Sieg des faschistischen Deutschland in diesem Kriege hätte unabsehbare, fürchterliche Folgen. Nicht der militärische Sieg über den Bolschewismus darf die erste Sorge für jeden Deutschen sein, sondern die Niederlage der Nationalsozialisten. Dies muß unbedingt an erster Stelle stehen. Die größere Notwendigkeit dieser letzten Forderung werden wir Ihnen in einem unserer nächsten Blätter beweisen.
Und jetzt muß sich ein jeder entschiedene Gegner des Nationalsozialismus die Frage vorlegen: Wie kann er gegen den gegenwärtigen "Staat" am wirksamsten ankämpfen, wie ihm die empfindlichsten Schläge beibringen? Durch den passiven Widerstand - zweifellos. Es ist klar, daß wir unmöglich für jeden einzelnen Richtlinien für sein Verhalten geben können, nur allgemein andeuten können wir, den Weg zur Verwirklichung muß jeder selber finden.
Sabotage in Rüstungs- und kriegswichtigen Betrieben, Sabotage in allen Versammlungen, Kundgebungen, Festlichkeiten, Organisationen, die durch die nationalsozialistische Partei ins Leben gerufen werden. Verhinderung des reibungslosen Ablaufs der Kriegsmaschine (einer Maschine, die nur für einen Krieg arbeitet, der allein um die Rettung und Erhaltung der nationalsozialistischen Partei und ihrer Diktatur geht). Sabotage auf allen wissenschaftlichen und geistigen Gebieten, die für eine Fortführung des gegenwärtigen Krieges tätig sind - sei es in Universitäten, Hochschulen, Laboratorien, Forschungsanstalten, technischen Büros. Sabotage in allen Veranstaltungen kultureller Art, die das "Ansehen" der Faschisten im Volke heben könnten. Sabotage in allen Zweigen der bildenden Künste, die nur im geringsten im Zusamrnenhang mit dem Nationalsozialismus stehen und ihm dienen. Sabotage in allem Schrifttum, allen Zeitungen, die im Solde der "Regierung" stehen, für ihre Ideen, für die Verbreitung der braunen Lüge kämpfen. Opfert nicht einen Pfennig bei Straßensammlungen (auch wenn sie unter dem Deckmantel wohltätiger Zwecke durchgeführt werden). Denn dies ist nur eine Tarnung. In Wirklichkeit kommt das Ergebnis weder dem Roten Kreuz noch den Notleidenden zugute. Die Regierung braucht dies Geld nicht, ist auf diese Sammlungen finanziell nicht angewiesen - die Druckmaschinen laufen ja ununterbrochen und stellen jede beliebige Menge Papiergeld her. Das Volk muß aber dauernd in Spannung gehalten werden, nie darf der Druck der Kandare nachlassen! Gebt nichts für die Metall-, Spinnstoff- und andere Sammlungen. Sucht alle Bekannten auch aus den unteren Volksschichten von der Sinnlosigkeit einer Fortführung, von der Aussichtslosigkeit dieses Krieges, von der geistigen und wirtschaftlichen Versklavung durch den Nationalsozialismus, von der Zerstörung aller sittlichen und religiösen Werte zu überzeugen und zum passiven Widerstand zu veranlassen! (...)
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Inge Scholl: Die Weiße Rose. Erw. Neuausg. Frankfurt a. M. 1982, S. 96-121.
Im zweiten Weltkrieg, in der zweiten Hälfte des Jahres 1942 versucht die weiße Rose mithilfe von Flugblättern das Volk vom Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu überzeugen und zur Sabotage zu bewegen. Eines dieser Flugblätter werde ich jetzt analysieren.
Wie eben erwähnt, ist die Intention eines Flugblattes das deutsche Volk davon zu überzeugen, dass die Nationalsozialisten in Deutschland eine „Diktatur des Bösen“ praktizieren und dass die Bürger sich dagegen wehren müssen und zwar durch „passiven Widerstand“ in Form von Sabotage. Die weiße Rose möchte damit erreichen, dass die Bürger dem Nationalsozialismus auf friedliche Art und Weise Paroli bieten und ihn boykottieren.
Das Flugblatt lässt sich in fünf Abschnitte gliedern. Der erste Abschnitt enthält die Verdeutlichung der eigentlichen Ideologie des Staates gegenüber dem Volk. Denn der Grund eines Staates sei die Gerechtigkeit und das höchste Gesetz das Wohl aller. Jeder Mensch solle in einem Staat frei und unabhängig agieren können. Dies wird auch durch die Anrede verdeutlicht „Salus publica suprema lex“, eine lateinische Weisheit, die ins Deutsche übersetzt soviel wie „Das Wohl aller ist das höchste Gesetz“ bedeutet. Dies ist zusätzlich ein Hyperbaton, in dem das Wohl aller eine hervorgehobene Rolle erfüllt, um zu verdeutlichen, dass dies wirklich das oberste Ziel des Staates sein sollte.
Im zweiten Abschnitt erklärt die weiße Rose dem Volk, wie es wirklich zur damaligen Zeit aussieht. Dabei wird die Ideologie mit der damals herrschenden Situation verglichen. Es sei eine „Diktatur des Bösen“ und ein „mechanisiertes Staatsgetriebe“. Dass dies ein absoluter Fehlschlag im Vergleich zur Ideologie ist, verdeutlicht der Autor durch das Verwenden des Wortes „Staat“ als Ironie. Hierdurch wird deutlich ausgedrückt, dass die Nationalsozialisten den Staat, ohne auf das Wohl des Volkes zu achten, führen. Um die Leser zusätzlich zum Nachdenken anzureden, folgen auf ein Zitat, dass von Lesern erwartet wird, nämlich: „Das wissen wir schon lange“, zwei rhetorische Fragen, in denen das Volk gefragt wird, warum sie sich dem noch nicht entgegengesetzt haben. Auch werden in diesem Abschnitt die Leser massiv moralisch unter Druck gesetzt, zum Beispiel wird geschrieben, dass mit jedem Tag ohne Widerstand, die Schuld des Volkes weiter wachse. Dass es denn wirklich höchste Zeit zum Handeln sei, wird durch die Metapher „in dieser zwölften Stunde“ verdeutlicht.
Der dritte Abschnitt stellt eine Art fließenden Übergang zum vierten Abschnitt dar. In dieser Überleitung wird der „passive Widerstand“ gefordert. Dies sei die beste Lösung, was durch die Metapher „dem Boden für einen Sturz der Regierung reif zu machen“ verdeutlicht. Nur auf diese Art und Weise, die der passive Widerstand mit sich bringt, könne man den Grundstein für eine Revolution legen.
Im vierten Abschnitt werden die Ziele noch einmal genau erklärt. Der Nationalsozialismus müsse an allen Stellen angegriffen werden, an denen er angreifbar ist. Hier wird Deutschland auch als „Unstaat“ bezeichnet, um noch einmal die bereits angesprochene Fehlentwicklung im Vergleich zur Ideologie zu verdeutlichen. Es sei wichtiger, die Regierung zu stürzen, als dass Deutschland Russland besiegt. Auch wird hier noch einmal „Staat“ als Ironie verwendet, mit dem gleichen Zweck wie bisher.
Im fünften und letzten Abschnitt wird die Vorgehensweise zur Ausübung des „passiven Widerstandes“ erklärt. Man müsse den Nationalsozialismus wo es nur ginge sabotieren, sei es in Betrieben oder Forschungen, die für den Krieg von Nutzen seien, in Veranstaltungen kultureller Art zu Beschönigung des Faschismus, in der Bildung, sofern sie mit Nationalsozialismus in Verbindung steht, oder mit Zeitungen und anderen Medien, die im Solde der Regierung stehen. Hier wird, ähnlich wie zuvor, „Staat“ und „Regierung“ als Ironie verwendet, um zu zeigen, dass das Verhalten der NS-Regierung nicht dem einer „echten“ Staatsführung entspricht. Auch wird das Volk aufgefordert, kein Geld für irgendetwas zu spenden, denn dies sei nur Tarnung. Die Wichtigkeit dieses Widerstandes wird noch einmal mit der Klimax am Ende verdeutlicht. Hier heißt es, dass man Bekannte, nicht nur von der Sinnlosigkeit des Krieges und dessen Aussichtslosigkeit überzeugen solle, sondern auch davon, dass der Nationalsozialismus geistig und wirtschaftlich „versklavt“ und die moralischen Werte zerstört.
Die Herausgeber sehen sich als Teil der Menge, der Widerstand leisten muss. Sie setzen sich mit den Lesern auf eine Ebene. Dies kann man auch an einigen Anreden erkennen, zum Beispiel „…höre ich dich einwenden…“ oder „Aber, frage ich dich…“.
Ich finde dieses Flugblatt sehr gut, denn es zeugt von Mut, öffentlich zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus aufzurufen. Außerdem ist es weniger manipulativ gestaltet, sondern besticht vor allem durch Sachlichkeit und geschickte Argumentation. Ich denke, dass dies ein sehr gelungener Aufruf gewesen sein wird, um die Öffentlichkeit nachdrücklich von der Wahrheit zu überzeugen.
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