Woyzeck: Szenenanalyse / Interpretation Szene 4, 5 und 6

In Georg Büchners Drama „Woyzeck“ wird der arme und geistig verwirrte Soldat Franz Woyzeck zum Mörder von Marie Zickwolf, seiner Geliebten und Mutter ihres gemeinsamen unehelichen Sohnes Christian, weil sie ihn mit dem Tambourmajor betrogen hat. Hier findet ihr eine ausführliche und auf jede Szene eingehende Interpretation des Dramas. Die Reihenfolge der Szenen folgt der Lese- und Bühnenfassung von Reclam. Auf Zitate wurde aufgrund von abweichenden Seiten- und Zeilenzahlen in den verschiedenen Ausgaben weitestgehend verzichtet.

Woyzeck: Szenenanalyse Übersicht:

Szene 4 – Marie sitzt, ihr Kind auf dem Schoß, ein Stückchen Spiegel in der Hand

In dieser Szene wird Maries Betrug nun offenbar. Sie hat ihren Sohn auf dem Schoß, hält eine Spiegelscherbe in der Hand und betrachtet ihre Ohrringe, ein Geschenk des Tambourmajors, während sie parallel Christian dazu bringt einzuschlafen. Sie erinnert sich nicht mehr, mit welchen Steinen die Ohrringe besetzt sind, ist sich aber sicher, dass es echte Goldohrringe sein müssen. Sie fühlt sich durch dieses Geschenk und die erhaltene Zuneigung durch den schmucken Tambourmajor ein bisschen wie eine reiche Dame.

Dabei ist ihr der Unterschied zu diesen durchaus bewusst, da sie sich als „ein arm Weibsbild“ (S. 15, Z. 20) bezeichnet, aber dass sie sich mit den reichen Damen der Oberschicht vergleicht, zeigt ihren Wunsch nach sozialem Aufstieg. Außerdem ist sie eitel, da sie sich genauso hübsch findet wie diese. Die kleine Spiegelscherbe in ihrer Hand zeigt dabei den krassen Gegensatz zu den Damen, die große Ganzkörperspiegel haben. Marie möchte wie sie von einem „schönen Herrn“ (S. 15, Z. 18f) umworben werden. Durch den Tambourmajor bekommt sie einen kleinen Vorgeschmack darauf, wie dies sein könnte.


Als Woyzeck hereinkommt, bedeckt sie schnell ihre Ohren mit den Händen, um die Ohrringe zu verstecken. Dies gelingt ihr aber nicht und Woyzeck spricht sie darauf an. Marie fühlt sich durch Woyzecks Nachfragen ertappt und belügt ihn doppelt, indem sie nur von einem Ohrring spricht und behauptet, ihn gefunden zu haben. Die erste Lüge fliegt sofort auf, aber die zweite glaubt er ihr, obwohl er sich kurz wundert, dass sie gleich zwei auf einmal gefunden haben will. Sein Vertrauen in sie ist so unerschütterlich, dass er sich nicht vorstellen kann, dass seine Geliebte ihn belügen könnte.


Dann tragen sie Christian zusammen ins Bett, der mittlerweile im Sitzen eingeschlafen ist und schwitzt. Woyzeck sorgt sich um seinen Sohn, da er bemerkt, dass es Christian auf dem Stuhl nicht bequem hat. Nach diesem kurzen Gespräch muss Woyzeck direkt wieder gehen, er ist nur vorbeigekommen, um Marie Geld für ihren Lebensunterhalt zu geben. Aus Liebe zur ihr und seinem Kind bessert er sich seinen wenigen Sold noch mit einer Nebentätigkeit bei seinem Hauptmann und einer weiteren beim Doktor auf. Das verdiente Geld gibt er ihr komplett, aber es reicht dennoch kaum zum Leben aus.


Als Woyzeck fort ist, beschleicht Marie ein schlechtes Gewissen, da sie sieht wie fürsorglich Woyzeck ist und wie undankbar sie ist, da sie bei ihrer Affäre mit dem Tambourmajor nur an sich und ihre Wünsche gedacht hat. Sie fühlt sich so miserabel, dass sie kurz erwägt, sich selbst zu erstechen, verwirft das dann aber sofort, da die Welt und die Menschen generell schlecht sind und es da auf sie als weiteren schlechten Menschen nicht mehr ankommt. Sie weiß also, dass sie sich schuldig gemacht hat, zieht aber keine Konsequenzen aus ihrem falschen Handeln.

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Szene 5 – Der Hauptmann. Woyzeck

Woyzeck rasiert den Hauptmann, welcher ihn ermahnt, sich nicht so zu hetzen. Er legt ihm dar, dass er nur Langeweile haben wird, wenn er seine Aufgaben zu schnell erledigt und dadurch Freizeit hat. Er erklärt ihm zudem, dass er in seinem zukünftigen Leben noch genug freie Zeit haben wird, in der er nicht weiß, was er tun soll, und er deshalb langsam machen soll.

Dies zeigt das mangelnde Einfühlungsvermögen des Hauptmanns, denn für Woyzeck ist diese Tätigkeit eine unter mehreren, die er ausführt, um seinen schmalen Sold aufzubessern. Er beeilt sich hier, um möglichst rasch zum Doktor zu kommen, an dessen Ernährungsexperiment er teilnimmt. Außerdem sind die Ausführungen des Hauptmanns äußerst beleidigend, da Woyzeck als Angehöriger der Unterschicht sein ganzes Leben arbeiten muss, um sein Auskommen zu haben.

Er kann sich zu viel Freizeit überhaupt nicht leisten. Auf die Ausführungen seines Vorgesetzten geht er deshalb auch nicht weiter ein, sondern gibt ihm lediglich formelhaft mit „Ja wohl, Herr Hauptmann.“ (S. 17, Z. 3) Recht. Er möchte den Hauptmann nicht verärgern, da dies seinen Zusatzjob gefährden könnte.


Der Hauptmann legt Woyzeck seine Melancholie dar, die aus Langeweile und ständiger Wiederholung (die Drehung der Erde um die Sonne) herrührt. Er meint, man brauche immer eine Beschäftigung, um nicht in Langeweile zu verfallen. Gleichzeitig teilt er dies in gut und schlecht ein, wobei sich ein guter Mensch nicht hetzt, ein schlechter jedoch schon. Woyzeck teilt er in die zweite Kategorie ein. Da er ihn aber mit keiner seiner

Äußerungen aus der Reserve locken kann, fragt er ihn nach dem Wetter und demütigt ihn, indem er eine unmögliche Windrichtung angibt (Süd-Nord) und sich nach Woyzecks Zustimmung dazu über seine Dummheit lustig macht. Es geht ihm also nicht um ein Gespräch, sondern er will sich selbst durch die Erniedrigung eines anderen besser fühlen. Dass er sich dazu einen Untergebenen aussucht, der sich nicht wehren kann bzw. darf, zeigt seinen schlechten Charakter.


Er geht dann noch weiter, indem er auf Woyzecks Mangel an Moral wegen seines unehelichen Kindes anspielt, aber gleichzeitig betont, dass dies der Garnisonspfarrer gesagt habe. Das zeigt sein mangelndes Rückgrat, da er die Kritik nicht direkt äußert und noch einen anderen in sein perfides Spiel einbaut. Darauf reagiert Woyzeck nun und verweist auf Gott, der sich allen Kindern zuwendet. Diese unerwarteten Widerworte bringen den Hauptmann aus dem Konzept.

Woyzeck führt dann weiter aus, dass er es sich als armer Mann nicht leisten kann, moralisch zu sein und er so wie alle anderen armen Menschen weder hier auf der Erde noch im Himmel Seligkeit finden kann, da Arme überall arbeiten müssen. Im Himmel müssten sie dann beim Donnern helfen. Das bedeutet, dass jemand aus der Unterschicht gar nicht versuchen muss ein guter Mensch zu sein, da es keine Hoffnung auf Erlösung gibt. Darin zeigt sich Woyzecks Resignation in Bezug auf sein eigenes Schicksal.


Der Hauptmann geht auf Woyzecks Ausführungen gar nicht ein, sondern verweist wieder auf dessen fehlende Tugend und hebt seine eigene hervor, da er nur den Frauen hinterherschaut, ohne sich ihnen unsittlich zu nähern. Dies könnte auch seinen mangelnden Erfolg bei den Frauen zeigen, den er hinter seiner vermeintlichen Tugendhaftigkeit versteckt. Er ist von seiner Gutartigkeit richtig gerührt, was seine Selbstverliebtheit zeigt.

Er ist aber kein guter Mensch, da er Woyzeck nicht hilft, obwohl er um seine Situation weiß. Er könnte ihm beispielsweise eine besser bezahlte Stelle verschaffen und ihn dabei unterstützen, zu heiraten. Woyzeck führt dann noch einmal aus, dass es mit Geld einfach ist, tugendhaft zu sein und er es eigentlich sein wollte, wenn er könnte. Woyzeck darf Marie nämlich nicht heiraten, da ein Soldat für eine Hochzeit nachweisen musste, dass er über einen bestimmten Geldbetrag verfügt. Der Sold reicht aber dafür nicht aus.


Der Hauptmann lenkt daraufhin ein, da er offenbar von Woyzecks Argumentation überfordert ist. Er bezeichnet Woyzeck als guten Menschen, obwohl er ihm vorher vorgeworfen hat, dies gerade nicht zu sein. Er schlägt dann wieder den Bogen zum Beginn des Gesprächs und ermahnt Woyzeck zur Langsamkeit. Dies zeigt, dass das Gespräch nichts gebracht hat, da am Ende alles wieder wie zu Anfang ist. Der Hauptmann wollte sich lediglich selbst darstellen und seine Überlegenheit auskosten.

Szene 6 – Straße oder Gasse. Marie. Tambourmajor

Marie und der Tambourmajor treffen sich auf der Straße und er spricht sie an. Marie betrachtet ihn bewundernd und betont, wie stolz sie sein kann, dass sie eine Affäre mit diesem starken und schönen Mann hat. Der Tambourmajor ist nicht weniger von seinem Äußeren überzeugt, da er davon spricht, dass er in seiner Paradeuniform so gut aussieht, dass er sogar Komplimente vom Prinzen erhält. Marie durchschaut seine übertriebene Selbstdarstellung und reagiert daher spöttisch.

Er geht aber nicht weiter darauf ein, sondern lobt auch ihre Schönheit und möchte Geschlechtsverkehr mit ihr haben. Deshalb umarmt er sie, was sie jedoch nicht will. Der Tambourmajor scheint das als eine Art Paarungsspiel zu verstehen, denn er bezeichnet sie als wildes Tier und lässt sie nicht los. Genau das ist es auch, denn jetzt reagiert Marie mit ungestümer Zuwendung, da sie diesmal sagt, dass er sie anfassen soll. Der Tambourmajor geht auf ihr Spiel ein und neckt sie damit, dass aus ihr der Teufel spräche.

Das ist Marie egal, sie wäre für ihn auch der Teufel. Daran sieht man ihre gegenseitige Anziehungskraft und Erregung. Es zeigt sich aber auch, dass ihre Beziehung nur rein sexueller Natur ist, da sie keinerlei tiefergehende Gespräche führen. Sie drehen sich nur um das Aussehen und Sex.

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Autorin: Kirsten Schwebel

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Dennis Rudolph
Über den Autor

Dennis Rudolph hat Mechatronik mit Schwerpunkt Automatisierungstechnik studiert. Neben seiner Arbeit als Ingenieur baute er frustfrei-lernen.de und weitere Lernportale auf. Er ist zudem mit Lernkanälen auf Youtube vertreten und an der Börse aktiv. Mehr über Dennis Rudolph lesen.