Woyzeck: Szenenanalyse / Interpretation Szene

In Georg Büchners Drama „Woyzeck“ wird der arme und geistig verwirrte Soldat Franz Woyzeck zum Mörder von Marie Zickwolf, seiner Geliebten und Mutter ihres gemeinsamen unehelichen Sohnes Christian, weil sie ihn mit dem Tambourmajor betrogen hat. Hier findet ihr eine ausführliche und auf jede Szene eingehende Interpretation des Dramas. Die Reihenfolge der Szenen folgt der Lese- und Bühnenfassung von Reclam. Auf Zitate wurde aufgrund von abweichenden Seiten- und Zeilenzahlen in den verschiedenen Ausgaben weitestgehend verzichtet.

Szene 1 – Freies Feld

In der ersten Szene werden die Soldaten Woyzeck und Andres eingeführt, die gerade Stöcke schneiden. Sie reden beide mit einer leichten dialektalen Färbung und benutzen die Umgangssprache, wie z.B. „er meint es wär ein Igel“ (S. 9, Z. 7), „S’ist so kurios still“ (S. 9, Z. 22) oder „hörst du’s noch“ S.11, Z. 1f). Daran erkennt man ihre Zugehörigkeit zur Unterschicht.


Woyzecks verwirrter Geisteszustand wird direkt zu Beginn offenbar, da er meint, er sei auf einem Hinrichtungsplatz. Jeden Moment fürchtet er, den Kopf eines Enthaupteten zu finden, von dem er annimmt, dass er ihm den baldigen Tod bringt. Als Beweis erzählt er von jemandem, dem das angeblich passiert ist. Das kann man auch als Vorausdeutung seines eigenen Schicksals sehen, da er für den Mord vermutlich hingerichtet werden wird, da auf diese Tat die Todesstrafe stand. Dann meint er, dass die Freimaurer (eine Geheimgesellschaft) daran schuld seien. Dies zeigt seine mangelnde Bildung, denn die Freimaurer sind nicht gewalttätig, sondern streben nach einer besseren Welt. Diese soll durch das persönliche positive und vor allem tolerante Handeln erreicht werden. Dieser Anspruch steht im direkten Widerspruch zu Woyzecks Halluzinationen.


Woyzecks Stubenkamerad Andres, der mit ihm im Gebüsch ist, singt dagegen, während er Stöcke abschneidet. Dass er sich anfänglich nicht von Woyzeck ängstigen lässt und gar nicht auf das eingeht, was dieser sagt, zeigt sein unbefangenes und einfaches Gemüt. Woyzeck steckt ihn jedoch nach kurzer Zeit mit seiner Furcht an, sodass er verstummt und auch horcht, als Woyzeck plötzlich meint, dass der Himmel brennt und Posaunen zu hören seien. Da diese in Woyzecks Wahnvorstellungen immer näherkommen, reißt er Andres zu Boden. Hier klingen seine Halluzinationen nach kurzer Zeit ab und Andres mahnt zum Aufbruch, da er das Trommeln der Soldaten zum Zapfenstreich hört, was das Ende der Ausgehzeit bedeutet. Die Soldaten müssen nun bis zum nächsten Morgen im Quartier bleiben. Missachtung oder Zuspätkommen zieht Strafen nach sich, deshalb möchte Andres rechtzeitig zurück in der Kaserne sein. Erstaunlich ist, dass Andres überhaupt nicht auf das eingeht, was Woyzeck sagt oder tut. Er steht dem Gefühlsausbruch seines Kameraden komplett gleichgültig gegenüber und zeigt keinerlei Besorgnis oder Einfühlungsvermögen. Er versieht nur seinen Dienst.

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Szene 2 – Marie (mit ihrem Kind am Fenster), Margreth

Hier wird nun Woyzecks Familie eingeführt, die aus seiner Geliebten, Marie Zickwolf, und dem gemeinsamen einjährigen Sohn Christian besteht. Marie gehört wie Woyzeck zur Unterschicht und ist unter ihresgleichen nicht sehr angesehen, weil sie ein uneheliches Kind hat. Dieses steht für ihren unmoralischen Lebenswandel, den ihr auch ihre Nachbarin Margreth vorwirft.


Marie hat ihren Sohn auf dem Arm und steht am offenen Fenster, weil sie Christian die Soldaten zeigen will, die auf dem Weg in die Kaserne sind. Der Tambourmajor – als Gegenfigur zu Woyzeck – führt bei den Soldaten die Trommler an. Als Marie ihn erblickt, ist sie von seiner Stattlichkeit beeindruckt, da sie ihn mit einem Löwen vergleicht. Maries Nachbarin Margreth findet den Tambourmajor nicht weniger attraktiv. Als sie sieht, dass Marie von ihm gegrüßt wird und sich darüber freut, ist sie eifersüchtig und bemerkt Maries glänzende Augen. Marie fühlt sich ertappt und reagiert unwirsch. Das lässt sich Margreth wiederum nicht gefallen und stichelt zurück, dass Marie zu viel flirtet, wohingegen sie selbst eine ehrbare Frau sei.

Sie unterstellt ihrer Nachbarin damit weitere Affären, ohne etwas Konkretes zu wissen. Marie verletzt dies, weshalb sie das Fenster zuschlägt. Sie kann aber Margreths Vorwürfe auch nicht zurückweisen, da es ihr uneheliches Kind deutlich zeigt, dass sie es mit den gesellschaftlichen Moralvorstellen nicht so genau nimmt.


Marie liebt aber ihren Sohn, da sie betont, dass er ihr Freude macht. Ihr ist aber bewusst, dass sie sich aus Sicht der Gesellschaft schuldig gemacht hat und auch Christian deshalb mit einem Makel behaftet ist, da sie ihn als „arm Hurenkind“ (S. 11, Z. 3) bezeichnet. Dann singt sie ihm vor, um sich zu beruhigen. Dabei besingt sie ihre Situation und bedauert sich selbst, weil sie nicht weiß, wie sie ein gutes Auskommen und eine gute gesellschaftliche Stellung erhalten soll. Marie kümmert sich zwar liebevoll um ihr Kind, aber ihre Gedanken kreisen dabei hauptsächlich um sie selbst.


Als nächstes betritt Woyzeck die Szene. Er klopft ans Fenster, kann aber nicht hereinkommen, weil er zum Zählappell in die Kaserne muss. Er erzählt noch verschwommen von seinen Visionen, welche Marie nicht versteht. Sein Geisteszustand macht ihr – genau wie Andres – Angst, da sie meint, es wäre so dunkel, dass man gar nichts sieht. Andererseits ist sie böse auf Woyzeck, weil er nicht nach seinem Sohn geschaut hat, sondern nur von seinen eigenen Gedanken gefangen war.

Sie erkennt ganz richtig, dass er noch überschnappt (vgl. S. 11, Z. 31f). Das zeigt, dass sie durchaus bemerkt, dass mit Woyzeck etwas nicht stimmt, aber sie geht dem nicht weiter nach, da sie zu sehr mit sich und ihrer Situation als lediger Mutter beschäftigt ist.

Szene 3 – Buden. Lichter. Volk

Diese Szene spielt auf einem Jahrmarkt (vermutlich am selben Abend, da Woyzeck sich zuvor bis zum Abend verabschiedet hat). Marie und Woyzeck sind zusammen hingegangen und Woyzeck hat gute Laune. Von seinen Wahnvorstellungen merkt man gar nichts mehr. Im Gegenteil, er ist übermütig und fragt Marie, ob er sie tragen soll. Dies zeigt seine Liebe zu ihr, da er sie sinnbildlich auf Händen trägt. Er gibt ihr von seinem Sold so viel er kann und versucht zudem noch die finanzielle Situation zu verbessern, indem er Nebenjobs annimmt.


An einer Bude preist ein Ausrufer seine Show an, in der ein Pferd die Sterne deutet, Kanaillien (Vögel) die Zukunft vorhersagen und ein Affe als Soldat verkleidet ist. An diesen drei Tieren sähe man beispielhaft die Fortschritte der Zivilisation, wobei ein Soldat aber die unterste Stufe des Menschseins sei. Überträgt man das auf Woyzeck, so ist er als Soldat nicht mehr als aufgestiegener Affe bzw. gerade so ein Mensch. Im Drama wird er auch genauso von seinem Hauptmann behandelt und für den Doktor ist er lediglich ein Versuchstier. Hier wird die Sicht auf ihn bereits vorweggenommen.


Woyzeck richtet sich bei dem Jahrmarktsbesuch ganz nach Maries Wünschen, denn sie gehen ins Innere der Bude, weil sie dies möchte. Da Marie mit ihren schwarzen Augen und Haaren sehr schön ist, fällt sie auch dem Unteroffizier auf, der mit dem Tambourmajor ebenfalls den Jahrmarkt besucht. Beide preisen ihre Schönheit, wobei der Tambourmajor sofort an Geschlechtsverkehrt denkt. Allerdings spricht er über sie wie eine Zuchtstute, da sie zur Produktion von Regimentern und Tambourmajoren bestens geeignet wäre. Die letzte Anspielung bezieht sich auf ihn; er möchte gerne mit ihr schlafen.


Um sie weiter betrachten zu können, gehen die beiden ebenfalls zu der Show. Dort wird ein Pferd als Professor mehrerer Universitäten dargestellt, da es eine doppelte Vernunft hätte. Der Marktschreier preist es als Person und tierischen Menschen an. Damit ist es höhergestellt als Woyzeck und die anderen Leute, die zuschauen. Dann fragt er nach einer Uhr, damit das Pferd die Uhrzeit ablesen kann und damit beweist, dass es ein verwandelter Mensch ist. Damit soll der Fortschritt der Zivilisation, von der der Ausrufer vorher sprach, bewiesen werden. Das zeigt aber auch, dass der Mensch sich scheinbar nicht weiterentwickelt. Langfristig würde das bedeuten, dass die Tiere den Menschen überholen.


Der Tambourmajor gibt dem Marktschreier großspurig seine Uhr, um Maries Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Eine Uhr war ein Statussymbol, das sich nicht jeder leisten konnte. Sein Plan geht auf, da Marie sofort zu ihm nach vorne klettert. Sie gibt dabei vor, das Spektakel aus der Nähe sehen zu wollen und der Tambourmajor ist ihr beim Nachvornekommen behilflich. Marie kann ihrem Schwarm so in aller Öffentlichkeit nah sein, ohne dass es unschicklich oder auffällig wäre.

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Autorin: Kirsten Schwebel

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Dennis Rudolph
Über den Autor

Dennis Rudolph hat Mechatronik mit Schwerpunkt Automatisierungstechnik studiert. Neben seiner Arbeit als Ingenieur baute er frustfrei-lernen.de und weitere Lernportale auf. Er ist zudem mit Lernkanälen auf Youtube vertreten und an der Börse aktiv. Mehr über Dennis Rudolph lesen.